Thursday, February 02, 2006

Verblendet in Gaza

Die westliche Politik in den palästinensischen Gebieten ist gescheitert. Ihre einzige Alternative zur Hamas ist die zersplitterte Fatah. von jörn schulz
Viele seiner Feinde und Freunde hatten härtere Worte erwartet. Doch George W. Bush äußerte sich auf seiner Pressekonferenz am Donnerstag der vergangenen Woche erstaunlich konziliant zum Wahlsieg der Hamas. »Ich mag den Wettbewerb der Ideen«, sagte der US-Präsident. Das Resultat der »sehr interessanten« Wahlen erinnere ihn an »die Macht der Demokratie«. Die Palästinenser seien »nicht glücklich mit dem Status quo« gewesen und hätten »eine ehrliche Regierung« verlangt. Dies solle »der alten Garde in den palästinensischen Gebieten die Augen öffnen«.
Verhandlungen mit der Hamas schloss Bush aus, solange die islamistische Organisation einen »bewaffneten Arm« hat und »ihre Plattform die Zerstörung Israels« ist. Doch über konkrete Maßnahmen wolle er nicht sprechen, bevor eine neue Regierung gebildet ist. Bush war sichtlich bemüht, den Wahlsieg der Hamas nicht als ideologische Grundsatzentscheidung der Palästinenser darzustellen, sondern als eine verständliche Reaktion auf die Korruption der Fatah-Regierung und ihr Versagen in der Entwicklungspolitik.
Die US-Regierung scheint nicht gewillt zu sein, sich durch den islamistischen Wahl­erfolg zu einer Änderung ihrer Politik im Nahen und Mittleren Osten bewegen zu lassen. Jene Mahner, die immer davor gewarnt haben, dass die Forderung nach demokratischen Reformen islamistische Parteien stärken werde, sehen den Sieg der Hamas als Bestätigung ihrer Befürchtungen. Es ist jedoch das erste Mal, dass eine islamistische Partei durch freie Wahlen an die Macht kommt, und es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Mehrheit der Palästinenser keinen »Gottesstaat« wünscht.
Weniger klar ist, ob sie nicht dennoch einen bekommen werden. Derzeit suchen die Islamisten geradezu verzweifelt nach Verbündeten, doch dies ist eine taktische Maßnahme. Vom »Wettbewerb der Ideen« hält die Hamas wenig, wie alle islamistischen Organisationen betrachtet sie die Demokratie als sündhaft, weil sie von Menschen gemachte Gesetze über das Wort Gottes stellt. Ihren Anspruch auf Alleinherrschaft kann die Hamas gegen die gut bewaffneten Fatah-Anhänger nicht durchsetzen. Der Märtyrerkult und die Selbststilisierung als ewige Opfer »der Juden« prägen jedoch auch den nationalreligiösen Flügel der Fatah, und die Durchsetzung des Schleierzwangs wäre wahr­schein­lich kein Anlass für eine Machtprobe.
Die ersten Reaktionen der westlichen Regierungen deuten darauf hin, dass sie die Fatah stärken, aber auch eine Konfrontation mit der Hamas vermeiden wollen. Politiker der EU bedienten sich fast der gleichen Formeln wie Bush. An einigen Prinzipien müssen die westlichen Staaten festhalten. Die Anerkennung einer Regierung setzt voraus, dass diese nicht das Existenzrechts eines anderen Staates bestreitet und sich zumindest bemüht, ein staatliches Gewaltmonopol durchzusetzen.
In der politischen Praxis können diese Prinzipien jedoch flexibel ausgelegt werden. Auch die libanesische Hizbollah wird von der US-Regierung und dem europäischen Parlament als terroristisch eingestuft. Es hat die Beziehungen zum Libanon jedoch nicht getrübt, dass an dessen Regierung Minister der Hizbollah beteiligt sind und die »Partei Gottes« weder Anzeichen einer ideologischen Mäßigung noch die Bereitschaft zeigt, ihre Miliz aufzulösen. In den palästinensischen Gebieten könnte der Ausweg die Integration von nicht islamistischen Ministern in die neue Regierung sein.
Die Hamas kann von jeder möglichen Entscheidung der so genannten Geberländer profitieren. Wenn alle Kontakte abgebrochen und die Zahlungen gestoppt werden, bestätigt das die Behauptung der Islamisten, dass westliche Staaten nur dann die Demokratie befürworten, wenn ihnen genehme Politiker gewählt werden, und erleichtert es ihnen, die Schuld für alle auftauchenden Probleme den »Juden und Kreuzfahrern« zuzuschieben. Eine von der Hamas dominierte Regierung als Verhandlungspartner zu akzeptieren, heißt faktisch, eine antisemitische Organisation diplomatisch anzuerkennen. Die Islamisten nicht nur in den palästinensischen Gebieten würde das in ihrer Überzeugung bestärken, dass man mit konsequentem Terror den »dekadenten Westen« zu Zugeständnissen zwingen kann.
Mit großem Geschick haben es die palästinensischen Organisationen verstanden, ihren Konflikt mit Israel zu einem zentralen Thema der Weltpolitik und sogar zu dem Nahost-Konflikt zu machen, als gäbe es in der Region ansonsten keinen nennenswerten Auseinandersetzungen. Damit wurde der israelisch-palästinensische Konflikt zu einem Terrain, auf dem sich jeder profilieren kann, der nach größerem weltpolitischem Einfluss strebt. In den vergangenen Jahren war dies vor allem die EU, die sich immer wieder als Vermittlerin präsentieren und durch die Stationierung von »Friedenstruppen« oder Militärbeobachtern an Einfluss gewinnen wollte.
Im November des vergangenen Jahres war es dann so weit. Die israelische Regierung stimmte der Stationierung von EU-Beobachtern am Grenzübergang von Rafah zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten zu. Lange währte die Freude jedoch nicht, denn der Grenzübergang wurde mehrmals von Milizionären der Fatah attackiert. Bei einem der Angriffe mussten die EU-Beobachter fliehen, nach einer Attacke im Januar sagte ihr Sprecher Julio de la Guardia, es handele sich um interne palästinensische Angelegenheiten, die ihre Arbeit »nicht gestört« hätten.
Doch nicht immer und überall kann man die Folgen der Warlordisierung einfach aussitzen. Die Politik der EU ist ebenso wie die der USA gescheitert. Dies ist nicht in erster Linie eine Folge bestimmter Entscheidungen oder Ver­säum­nisse, sondern ein grundsätzliches Problem des »nation building« und der kapitalistischen Vergesellschaftung im 21. Jahr­hundert. Die palästinensischen Gebiete sind zu einem weitgehend von konkurrierenden Warlords beherrschten Terrain im latenten Bürgerkriegszustand geworden. Nicht anders als in den »gescheiterten Staaten« Afrikas stützen sich westliche Staaten auf die etablierten politischen Kräfte, da ihnen die Instrumente und der Wille fehlen, eine gesellschaftliche Demokratisierung zu fördern und für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu sorgen.
Ihre einzige Alternative zur Hamas ist deshalb die Fatah, eine Bewegung, deren konkurrierende Fraktionen ihre Differenzen nicht selten bewaffnet austragen. Derzeit drängen die westlichen Regierungen die Fatah zu Reformen. Doch selbst wenn eine Erneuerung der Partei gelingt, ist unklar, ob säkular-liberale Kräfte oder die Hardliner der Al-Aqsa-Märty­rerbrigaden die Führung übernehmen. Die Ideologisierung der palästinensischen Politik erschwert das »nation buil­ding«, denn Warlords, denen es allein um Geld und Macht geht, sind leichter zufrie­den zu stellen.
Es bleibt die Hoffnung, dass sich die Hamas, die mit den gleichen Strukturen und Forderungen konfrontiert ist wie die Fatah, als Regierungspartei schnell genug diskreditieren wird, um das Schlimms­te zu verhindern. Fanatismus und Bestechlichkeit schließen sich nicht aus. Die Liste von Transparency International, die die am wenigsten korrupten Länder an die Spitze stellt, verdeutlicht das anhand zweier »Gottesstaaten« : Der Iran belegt den 93., das islamistische Militärregime im Sudan den 149. Platz.

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