Thursday, July 27, 2006

My Bollah, Your Bollah, Hizbollah

In Berlin wurde gegen die israelischen Angriffe auf den Libanon demonstriert. Dabei waren Kinder, Islamisten und Neonazis. von doris akrap
Die optische Beeinträchtigung im Straßenverkehr, auf öffentlichen Plätzen und an Häuserfassaden durch nervös flatternde Deutschlandfahnen war gerade beseitigt – sogar die Bild-Zeitung schlug ihren Lesern vor, die Fahnen zu Bikinis zu verarbeiten –, da wurde mancherorts schon wieder geflaggt: An einigen Imbissbuden und Taxis flatterte die rot-weiße Fahne mit der libanesischen Zeder. Wem genau die demonstrative Solidarität galt, blieb Spekulation. Vier Tage nachdem das israelische Militär begonnen hatte, Ziele im Libanon zu bombardieren, stellten einige klar, dass ihre Solidarität auch der islamistischen Hizbollah gilt.
Ohne dass es zuvor größere Bekanntmachungen gab, versammelten sich am Montag voriger Woche rund 1 500 Personen, um gegen die »Feldzüge Israels in Gaza und Libanon« am Brandenburger Tor zu demonstrieren. Unter einem libanesisch-palästinensisch-deutschen Fahnenmeer wurde »Tod Israel!« gerufen; Fahnen der Hizbollah und Bilder ihres Führers Hassan Nasrallah wurden gezeigt. Vereinzelten Kreuzberger Linken, die sich mit der libanesischen Bevölkerung solidarisieren wollten, war das zu viel. Sie gingen wieder nach Hause in ihren Kiez. Dort aber war es nicht besser, denn seit der WM gilt: Wo Fahne, da Korso! Autos, mit Fahnen des Libanon und der Hizbollah geschmückt, fuhren hupend in Formationen durch Kreuzberg und Schöneberg.
Am Freitag voriger Woche kam es in Charlottenburg zum bisherigen Höhepunkt der Solidarität mit der Hizbollah in Berlin. Mit der Forderung »Stoppt die israelischen Aggressionen gegen das palästinensische und das libanesische Volk« brachte ein Bündnis von arabischen, libanesischen und palästinensischen Vereinigungen, Friedensfreunden und antiimperialistischen Gruppen etwa 4 000 Menschen zusammen.
Der »friedliche Verlauf« der Demonstra­tion, von dem die Presse berichtete, sagt wenig über ihren Charakter aus, für den die häufig zu hörenden »Hizbollah«-Rufe und Parolen wie »Intifada bis zum Sieg« sprechen. Kleinste Vorkommnisse wie etwa die Kommentare von Passanten veranlassten manche männliche Demonstrationsteilnehmer, mit Drohgebärden und Schmähungen ihre Version der Friedensstiftung zur Schau zu stellen. Ein Fotograf, der als »Zionist, Zivibulle und Faschist« geoutet wurde, musste vor der aufgebrachten Menge flüchten.
Zu dem bereits bekannten Flaggengemisch gesellten sich noch ba’athistische Irak- und Syrienflaggen. Eine einsame Pace-Fahne in diesem Meer verdeutlichte, dass Linke und Friedensfreunde nicht allzu zahlreich anwesend waren. Offensichtlich dienten auch die auf Plakate geklebten Fotos verstümmelter Kinderleichen nicht in erster Linie dazu, Trauer und Empathie auszudrücken. Den meisten Demonstrierenden ging es vor allem um die Unterstützung der Hizbollah.
»Nazis und Antisemiten werden nicht geduldet«, hatten die Veranstalter vorab versichert. Doch antisemitische Sprüche und Plakate wie »Olmert Blutsauger« waren nicht selten. Ein kleiner Junge von etwa fünf Jahren plärrte minutenlang »Israel Kindermörder« in ein Mikrofon. Außerdem wurden auch Neonazis aus dem Spektrum der »Autonomen Nationalisten« gesichtet. Auch Gerd Walther, ein »Reichsbürger« aus dem Umfeld Horst Mahlers, demonstrierte seine Solidarität mit der Hizbollah.
Zum Abschluss durfte Heike Hänsel, die für die Linkspartei im Bundestag sitzt, Israel einen »Vernichtungskrieg« vorwerfen, bevor das große Finale begann: Ein Kinderchor sang das Deutschlandlied, umrahmt von zwei im Takt geschwenkten Hizbollah-Fahnen.
Eine Gruppe von türkischen Linken hatte offenbar die Dominanz der Islamisten geahnt und für Samstag eine eigene Demonstration am Kottbusser Tor angemeldet. Etwa 50 Leute standen dort in geschlossener Formation und riefen gemäß der alten Schule: »Hoch die internationale Solidarität!«
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