Thursday, August 15, 2013

Ägypten: Zugunglück in Zeitlupe

von Gerrit Liskow
Leute, die ihn kennen, behaupten, US-Außenminister John Kerry hätte eine ganze Menge im Kopf. Man weiß nur nicht, ob es sich dabei nicht um eine ganze Menge Vakuum handelt.
Den Menschen in Ägypten hingegen bleibt eine andere Hoffnung: Dass „Merry Kerry“, der John aus Washington, sich nicht auch in ihre inneren Angelegenheiten einmischt.
Anderenfalls würde Mr Kerry womöglich zunächst mal die massenhafte Entlassung von Mördern, Mördern und noch mehr Mördern verlangen; hat ja auch in Israel so wunderbar geklappt um die „Friedens“-Verhandlungen in Schwung zu bringen, nicht wahr?
Aber da in Ägypten keine „Palästinenser“ wohnen möchten (schon gar nicht die im Gaza-Streifen, den Kairo nicht mal geschenkt haben will), brauchen sie am unteren Nil auch keine Angst davor zu bekommen, dass Merry Kerry ihnen „Frieden“ verordnet und Terroristen befreit (sowas macht er nur in Israel).
Alternativ könnte Joschka Fischer die Militärjunta in die Harmoniehütte sperren. Oder Margot Käaßmann die Moslembrüder zum nächsten Kirchentag engagieren. Oder wenigstens eine Tagung in der Evangelischen Akademie in Bad Böll! Warum das unwahrscheinlich ist, sehen wir gleich.
Zwischenfazit: Ein bisschen Frieden täte Ägypten ganz gut (natürlich nicht jenes Bisschen von Nicole). Die Moslembruderschaft stellt sich sehr geschickt darin an, mehr und mehr ihrer Moslembrüder ins offene Messer zu jagen. Das ägyptische Militär hingegen scheint über die Maßen bestrebt, dieser Selbstmordsekte jeden sich bietenden Wunsch nach „Märtyrern“ zeitnah und vollumfänglich zu erfüllen und hat den Notstand proklamiert.
Das alles ist weder neu noch schön. Die Situation spitzt sich zu, ohne dass die EU oder die UNO oder sonst irgendwer Piep sagt. Weder die handelsüblichen „Friedens“-Verdächtigen noch die einschlägigen Nobelpreisträger.
Hat Günter Grass denn nicht schon wieder zu lange geschwiegen (oder hat ihm etwas die Sprache verschlagen)? Was sagt der andere Anti-Antisemit dazu, der Augstein mit seinem Wochenblatt? (Nein, nicht „Der Spiegel“, sondern diese Zumutung aus Berlin).
Zwischenfazit Nummer Zwei: Die deutsche „Friedens“-Szene schweigt. Während sich abzeichnet, dass aus Ägypten das neue Syrien wird, fühlt sich das Milieu in seinem ideologischen Morast so wohl, wie der Mops im Paletot. Wenigstens die Illusion, wonach die Moslembrüder die Guten und die Militärjunta die Bösen sind, lässt sich doch wohl über unruhige Zeiten retten, oder etwa nicht? Ihr werdet das schon schaukeln, liebe „Grüne“, liebe TAZ.
Und beim deutschen Staatsfunk und seinen angeschlossenen „Qualitätsmedien“ hält man den „Arabischen Frühling“ selbstverständlich noch immer für dieselbe gute Sache, die er schon bei der ersten Tahrir-Platz-Demonstration nicht wirklich war, und ist bemüht, sich und sein öffentlich-rechtlich prästabilisiertes Weltbild durch keine wie auch immer geartete Wirklichkeit durcheinander zu bringen. Nicht ohne Nutzen hat man schließlich die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ abonniert. Was gibt‘s denn in der Kantine, Kolleginnen und Kollegen?
Das völlig vorhersehbare Versagen der germanisch-depressiven Stände, also der akademischen Eigengewächse plus selbsternannten Stützen der Gesellschaft, kommt beileibe nicht von ungefähr. Immerhin hat der Rechtsvorgänger des wiedergutgewordenen Deutschlands die Gurkentruppe von Hassan al-Banna aufgebaut, um den Tommies und ihrem doofen Empire mal so richtig in die Suppe zu spucken.
Anti-imperialistische Kontinuitäten „made in Germany“ und der Extremismus der Mitte in einem journalistischen Amoklauf für noch mehr „Arabischen Frühling“ – das liefert die deutsche Berichterstattung. Sie passt damit wie Arsch auf Eimer auf die Gemütslage der wiedergutgewordenen Nation.
Gegen das Empire kann man sicherlich vieles sagen. Aber nicht, dass es nichts von Empirie verstand. Die Destabilisierung der Lage begann, als Nazi-Deutschland sich in Ägypten eingemischt hat, per Unterstützung der Moslembruderschaft, die den Nazis übrigens aus freien Stücken bis zum Anschlag hinten rein gekrochen ist. Es muss ein Fall von Seelenverwandtschaft gewesen sein. Immerhin erschien „Mein Kampf“ auf Arabisch unter dem Titel „My Jihad“.
An der instinktsicheren Identifikation mit den Kräften des Aufklärungsverrats hat sich in Deutschland seit Mitte der 1930er Jahre wenig geändert. 30er Jahre – war da was in Germany? Was Anderes als sonst? 1936 hat Hassan al-Banna übrigens in Britischen Mandat Palästina recht fleißig „Politik“ gemacht. Diese kann man auch ein Pogrom nennen.
Und so ist abzusehen, dass man um des lieben „Friedens“ willen mitansehen wird, wie sich Ägypten weiter destabilisiert und in das nächste Syrien verwandelt. Wer davon profitiert, ist nicht schwer zu verstehen: Dieselben Leute, die ihr Weltbild vor der Wirklichkeit retten wollen. Und jene Kreise, die auf einen Extremismus setzen, der sich religiös maskiert.
Die Aufteilung der Einflusszonen schreitet rapide voran. In der Region geschieht genau die Destabilisierung, vor der man viele Jahrzehnte weggelaufen ist. Es gibt kein Zurück (das gibt es nie), denn weder mit den üblichen Hohlphrasen noch mit der tumben Symbolpolitik ist eine Krise abzuwenden, die im sogenannten Westen noch immer als „Aufbruch zu neuen Ufern“ bejubelt wird, obwohl man es seit spätestens zwei Jahren besser wissen kann.
In diesem Fall macht es keinen Spaß, recht zu behalten. Aber was machen die vielen Leute, die so viel von „Frieden“ verstehen? Die Friedensbewegung? Die „Grünen“, die „Links“-Partei, die „Piraten“? Anonymus, Occupy und die anderen Polit-Sekten von DKP bis GEW? Haben die es auf einmal alle am Rücken? Sind die noch nicht aus ihrem Toskana-Urlaub zurück? Sie identifizieren sich doch sonst immer so mit der Lage der Entrechteten und Geknechteten (honi soit qui mal y pense). Nur: Welche sind das überhaupt in diesem Fall?
Wo sind insbesondere das Elder-Statesman-Imitat Joschka Fischer und die Kinderbuch-Ersatz-Autorin Margot „Margottogott“ Käaßmann, wenn man sie braucht? Zwei „Friedens“-Tauben, die dringend mal nach Kairo flattern sollten, um ihre Sonntagsreden im Alltagsgebrauch auf die Probe zu stellen. Aber bitte nicht als Vorgruppe von Merry Kerry, dem John aus Washington. Davor sei die „Amerika-Kritik“!
Wer sich ausgerechnet vom „Arabischen Frühling“ den umgehenden Sieg der Demokratie versprach (und verspricht), hat sich vor der Idee bereits blamiert als jemand, der von Demokratie nicht viel versteht. Oder nicht viel davon verstehen möchte. Oder einfach generell nicht sehr viel Demokratie will. Oder eine niedrige Meinung von ihr hat. Oder all dies zusammen.
Den akademisch verblödeten Ständen sei noch mal ins Stammbuch geschrieben, dass der demokratische Gedanke in seiner modernen Heimat rund siebenhundert Jahre bis zu seiner vollen Entfaltung gebraucht hat. Nämlich von der Magna Carta 1215 bis zur Einführung des Frauenwahlrechts 1918.
Das bedeutet: Selbst wenn man unterstellt, dass die Ägypter doppelt so schnell wie die Engländer sind, würde der „Arabische Frühling“ nicht innerhalb einer durchschnittlichen Lebenserwartung von derzeit 80 Jahren passiert sein.
haolam

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