Sunday, June 28, 2015

Termine, Termine: Akropolis Adieu?



von Gerrit Liskow

Die Geschichte der letzten ein-, zweihundert Jahre ist nicht eben arm an „politischen“ Irrtümern. Die meisten von ihnen endeten erst, als wahnhafte Kollektive wesentliche Zugeständnis an die realexistierende Wirklichkeit machen mussten: Nazi-Germany ließ sich von den Alliierten widerwillig eines Besseren belehren; die UdSSR zerbrach an ihren inhärenten polit-ökonomischen Widersprüchen; die VR China sah ein, dass „Der lange Marsch“ nicht auf allen Etappen sozialrevolutionär verlaufen kann, wenn er gesellschaftlich erfolgreich sein will.
Soweit ist Griechenland noch nicht. Weiterhin ist nicht absehbar, ob die hellenische Nation jemals so weit sein wird. Soeben hat die gewählte Regierung eine Volksabstimmung zu den Konditionen der jüngsten Umschuldungsbemühungen angekündigt. Diese neuerliche taktische Volte in einem nicht enden wollenden Reigen der verstrichenen Ultimaten und geplatzten Last-Minute-Deals ist bei den Fans und Groupies der Athener Linksregierung zwar „politisch“ ungemein erfolgreich, in der Sache aber genauso sinnvoll wie die Diskussion darüber, ob Wasser nass ist.
Selbst wenn sich die lieben Griechinnen und Griechen auf den Kopf stellen, während sie am nächsten Sonntag ihre sozialrevolutionären Kreuzchen machen, ändert ein Nein zur „Erpressung durch die Kreditoren“ (offizieller Polit-Jargon der Tsipras-Szene) nichts daran, dass man in Athen ziemlich Pleite ist und nicht weiß, wie es weiter gehen soll. Die Ironie besteht darin, dass auch ein Ja zu den Konditionen nicht viel ändert: Solange in Hellas niemand seine Steuern bezahlt, haben „Rettungsvorschläge“, die über Steuererhöhungen finanziert werden sollen, dieselbe Aussicht auf Erfolg wie Versuche, den Schweinen das Fliegen beizubringen – nämlich keine.
Die Fünferbande: Die viereinhalb Präsidenten der EU
Der nationale und internationale Sozialismus hat die Konfrontation mit der Realität, wie sie außerhalb seiner politischen Wahnvorstellungen („Theorien“; „Ideale“; etc.) existiert, lediglich in geografischen Enklaven überlebt, die sich dem Primat der Wirklichkeit entziehen und ihren „politischen“ Wahn über die sich wandelnden Zeiten retten konnten. Nein, Freiburg im Breisgau ist diesmal nicht gemeint, liebe Grüne, sondern die jüngst mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Mr. Obama geadelte VR Cuba sowie das Klima- und Arbeiter-Paradies Nord-Korea, dieses Immergrau des realexistierenden Sozialismus.
Dort gedeiht die „wissenschaftliche Weltanschauung“ noch immer in der vollen Pracht ihrer Sumpfblüte. Indes scheint „Europa“ diesen Vorbildern folgen zu wollen. Denn während weltweit multinationale Freihandelszonen florieren, erstickt die EU an ihrem eigenen Gewicht: Nafta, Mercosur, Asean boomen und kommen jeweils mit einem absoluten Minimum an behördlichen Funktionen aus. Das Einzige, was in der Brüsseler Beamtendiktatur boomt, ist jenes geradezu byzantinische Bürokratiemonster, das die Selbstregulation des Marktes tötet.
Zu diesen Vorwürfen sagt die EU: Das muss so sein. An der Spitze der „europäischen Idee“ steht jene Fünferbande, die sich aus den sogenannten Fünf Präsidenten von Mehreuropa rekrutiert: Jean-Claude „Für-mich-einen-Doppelten“ Juncker und dreieinhalb weitere Nullitäten in ihren Funktionen als: Präsident des Europa-Rates, Präsident der Euro-Gruppe, Präsident der EZB und Präsident des EU-„Parlaments“. Letzteres hat mit dem deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz den Inbegriff jenes Nichts zum Vorsitz, das ihm entspricht; deshalb wird Genosse Schulz an dieser Stelle auch nur als halbe Portion gezählt.
Diese viereinhalb selbstverständlich von niemandem in der ganzen EU jemals in demokratischen Wahlen legitimierten Funktionsträger repräsentieren jene Gremien, die „Europa“ in Richtung Mehreuropa voranbringen sollen; dieses „Europa“ darf man selbstverständlich nicht mit dem gleichnamigen Kontinent verwechseln, liebe Leserinnen und Leser. Aufgabe des Politbüros der EUdSSR ist es, die Brüsseler Beamtendiktatur auf ihrem epochalen Marsch von einer historischen Katastrophe zur nächsten „politisch“ auf Kurs zu halten: vorwärts immer, rückwärts nimmer!
Im Dutzend billiger: „Politik“ machen wir mit links
So weit, so bekannt. Bemerkenswert ist allein, wie diese viereinhalb demokratisch nicht einmal fadenscheinig legitimierten Nichtse die sogenannte Griechenland-Krise zum Gegenstand einer Machtprobe zwischen dem zum Himmel stinkenden Wahnzentrum der EU und seinen nachgelagerten Instanzen machen; mit letzteren sind die immerhin einigermaßen demokratisch gewählten Regierungen der EU-Mitgliedstaaten gemeint.
Selbstverständlich profitiert die Fünferbande von der Misere in Griechenland nicht zuletzt dadurch, dass sie jenen Sachzwang erzeugt, durch den sich der ideologische Schlachtruf nach Mehreuropa umso glaubhafter inszenieren und der selbsterfundene Daseinszweck der Brüsseler Beamtendiktatur umso nachhaltiger begründen lässt. Einen anderen praktischen Nutzen hat der griechische Schuldenstreit aus „europäischer“ Perspektive nicht.
Seine Funktion als Beispiel und Vorbild hätte fatale Folgen: Was, wenn ähnlich gelagerte Fälle sich in Zukunft auf Hellas berufen? Die Diplomatie verbietet es, in diesem Zusammenhang Namen zu nennen, aber am äußersten Süd- und Westrand der Großeuropäischen Wohlstandssphäre kämen ein paar Kandidaten für den nächsten „Grexit“ in Betracht.
Angefeuert wird die „europäische Idee“ von einem progressiven Klatschmob, dessen Vorstellung von „Europa“ sich darauf beschränkt, dass man „im Urlaub endlich überall kein Geld mehr umzuwechseln braucht“ (wenn man noch nie in Dänemark war) sowie auf einigermaßen vagen, diffusen und moralisch unterbelichteten Fantasien von „sozialer Gerechtigkeit“. Die bringt die Linke vorzugsweise dann in Stellung, wenn politökonomische Vorgänge von jedem Verdacht befreit werden sollen, dass die Betroffenen auch nur im Geringsten für sich und ihre derzeitige Lage selbst verantwortlich sind.
Als Antwort auf ihre symptomatisch falsch verstandene „soziale Frage“ bietet die Linke das handelsübliche Opfer-Kollektiv mit einem abstrakten Täter an: Wie immer ist der Kapitalismus schuld; das ist so bequem, der kann sich nicht wehren. Der Realitätsbezug dieser Konstruktion ist minimal, aber ihre ideologische Halbwertszeit ist enorm. Interessanterweise hallt auch in dieser Pseudo-Rationalisierung das Echo eines deutschen Opfer-Kollektives nach, das von einem international bekannten Österreicher in seine nationalsozialistische Pflicht genommen werden wollte. Selbstverständlich ebenfalls, ohne dafür im Geringsten verantwortlich zu sein, nicht wahr liebe Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft?
Nun ist es so, dass sich „Solidarität!“ in den Kommentarspalten der uffjeklärten deutschen Journaille sowie beim öffentlich-rechtlichen Staatsfunk noch immer halbwegs lukrativ an die Frau und den Mann bringen lässt. Aber über die Wirklichkeit, wie sie sich außerhalb der Köpfe zweckdienlich interessierter „politischer“ Kasten abspielt, lässt sich mit derartigen Ansprachen nur wenig sinnvoller Aufschluss gewinnen.
Akropokalypse Now!
Der Erkenntnisgewinn „politischer“ Solidaritätsadressen geht gegen Null. Zudem verwischen sie zweckdienlich die Kausalitäten jener Massenkarambolage in Zeitlupe, die sich in Form der Euro-Zone vor unseren Augen abspielt. Es sind gerade die uffjeklärten Milieus (die den Kapitalismus nur verstehen, wenn er nichts mit Zahlen zu tun hat - also eigentlich gar nicht) daran zu erinnern, dass es schlechterdings unmöglich ist, die sozialen Wohltaten einer lebenswerten Gesellschaft zu finanzieren, wenn niemand seine Steuern zahlt.
Die Beobachtung, dass Geld nicht auf Bäumen wächst, weist gegenüber der im schlimmsten Sinne sozialromantischen „politischen“ Weltanschauung der Linken zwei nennenswerte Vorzüge auf: Er strebt einen mittels Buchführung empirisch überprüfbaren Bezug zur Wirklichkeit an und erlaubt somit eine Analyse der aktuellen polit-ökonomischen Situation, die sich nicht durch rhetorische Regression in zweckdienlich herbeifantasierte finstere Mächte blamiert – Stichwort „die Märkte!“, „die Institutionen!“, etc.
Es muss von daher nicht verwundern, dass jeder empirische Befund bei den zweckdienlich interessierten, „politischen“ Stellen auf Abwehr stößt, aber gestatten Sie uns dennoch einen Blick auf die Wirklichkeit, wie sie realer nicht sein kann: Nicht nur ist es so, dass eine pünktliche und vollumfängliche Begleichung von Steuerschulden in Griechenland schon immer bestenfalls als etwas zweifelhafte persönliche Schrulle, schlimmstenfalls als asoziales Übel galt – denn wo kämen wir denn hin, wenn das alle machen würden…!
Sondern zudem ist es so, dass es Armut und Elend nicht nur in Griechenland gibt; haben Sie in letzter Zeit mal jemanden im Altersheim besucht, liebe Leserinnen und Leser? Es könnte vielen Menschen erheblich besser gehen, wenn sich auch jene Kreise an den Kosten sozialer Fürsorge beteiligen würden, die sich durch die Erfindung immer luftigerer Anspruchsniveaus „politisch“ zu empfehlen versuchen, während sie die Mühen der Ebene scheuen.
Womit gesagt sein soll: Auch in Griechenland wäre genug Geld vorhanden um sich all das zu gönnen, was der uffjekärte Rent-a-Mob sich wünscht, wenn dort nicht ein paar Jahrzehnte lang an der Steuerkasse vorbei gearbeitet worden wäre. Allerdings könnte die Syriza-Partei dann nicht zweckdienlich unterstellen, dass „den Schwächsten in der Gesellschaft“ von den Kreditoren etwas vorenthalten würde. Denn nur so ist es „politisch“: Man versteckt sich hinter dem Rücken von Witwen und Waisen um zu verlangen, dass das Geld anderer Leute zur Finanzierung des eigenen guten Gewissen ausgegeben wird, nicht wahr, liebe Sozialdemokraten?
Offensichtlich ist es so, dass die wesentliche politische Dienstleistung der linken Ideologie darin besteht, über den Verrat am Gattungswesen mehr oder weniger geschickt hinwegzutäuschen, auf dem sie basiert. Die wesentliche Zumutung besteht indes nicht etwa darin, dass progressive „Politik“ auf Kosten Dritter geschieht – sondern dass ihre Protagonisten und Propagandisten für derartige „politische“ Dienste auch noch beklatscht werden wollen.
Heiter weiter: mit Volldampf auf der Stelle fahren
Angesichts jenes selbstverliebten moralischen Vakuums, in dem das „politische“ Milieu sich so wohl fühlt, wie der Mops im Paletot, macht es nicht den geringsten Unterschied, ob man die griechischen Steuersätze dahingehend korrigiert, dass sie den tatsächlichen finanziellen Bedarfen ihrer „Community“ entsprechen, oder nicht; die üblichen Verdächtigen zahlen keine Steuern, weil sie sich mit den handelsüblichen ideologischen Verrenkungen zu einer Extrawurst auf Kosten Dritter selbstermächtigt haben. Und weil sie so moralisch hochwertige Menschen sind, schreien sie Zeter und Mordio, wenn ihnen jemand vorschlägt, sich nur so viel linke „Politik“ zu gönnen, wie sie sich auch tatsächlich leisten können.
Ja, es ist wirklich so schlicht. Aber nur, weil es schlicht ist, ist es weder dumm noch unwahr: Einem Staat, der seit Jahrzehnten keine ausreichenden Steuereinnahmen hatte und sich stattdessen aus Krediten finanziert, geht es irgendwann so ähnlich wie einem Menschen, der seinen Lebensunterhalt aus dem Dispo bestreitet. Das ist das Problem einer Welt, in der das Geld nicht auf Bäumen wächst. Die meisten Menschen haben gelernt, damit zu leben; manche wollen es nicht lernen und andere lernen es nie.
Der Ausweg vergangener Zeiten war die staatliche Zahlungsunfähigkeit: Der Staat kassierte die Sparguthaben ein, trug einen Teil seiner Schulden ab, wertete die Währung ab, besann sich auf eine realistische Finanzstruktur und bekam dafür genug Spielraum, um sich über die Zeiten zu retten (siehe Argentinien-Krise 2001).
Dieser Weg, angeleitet vom IWF, funktioniert indes nur dann, wenn man es mit Regierungen zu tun hat, die für die Geschicke eines Staates vollumfänglich allein verantwortlich sind. Das trifft im gegebenen Fall nicht zu: Weder steuert die griechische Regierung ihren Staat allein (denn sie hat wesentliche Bestandteile ihres demokratischen Mandats ans autokratische Brüssel delegiert), noch ist die EU ausschließlich für Griechenland zuständig (auf das nicht einmal 3% ihrer Bevölkerung entfällt).
Der einzige Dienst, den Griechenland der „europäischen Idee“ erweisen kann, besteht darin, den „politischen“ Sachzwang für Mehreuropa zu konstituieren und dadurch die Notwendigkeit der Brüsseler Beamtendiktatur zu legitimieren. Und diesen Dienst wird sich die Fünferbande auch in Zukunft eine Menge jenes Geldes wert sein lassen, das ihnen nicht gehört, sondern das sie lediglich treuhänderisch verwalten sollen.
 haolam

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