Friday, June 17, 2016

Ermordung einer britischen Abgeordneten: Aktueller Stand der Ermittlungen

 Aktueller Stand der Ermittlungen
Nach dem Mord an Jo Cox MP hat es keine halbe Stunde gedauert, bis ihre Labour-Kollegin Maria Eagle MP versuchte, dieses abscheuliche Verbrechen für politische Zwecke auszuschlachten. Ms Eagle musste ihre Behauptung, der Täter hätte „Britain First“ gerufen, während er Ms Cox erschoss, am späten Abend angesichts der geänderten Nachrichtenlage wiederrufen.


von Ramiro Fulano
Bleiben wir also bei den Fakten: Auf Ms Cox wurde gestern Mittag in ihrem Wahlkreis Batley and Spen (West Yorkshire) insgesamt dreimal auf offener Straße geschossen. Der erste Schuss streckte sie nieder. Während sie bereits wehrlos am Boden lag, trat der Täter mehrfach auf sie ein, schoss noch zweimal auf die Abgeordnete und verletzte sie dabei am Kopf. Ein Passant, der Ms Cox zur Hilfe eilen wollte, wurde durch Messerstiche leicht verletzt. 
Ms Cox verstarb knapp drei Stunden später an ihren schweren Verletzungen im Blackburn Road Medical Centre. Sie hinterlässt zwei Kinder und einen Ehemann. Ms Cox ist seit über 25 Jahren das erste britische Parlamentsmitglied, das einem Attentat zum Opfer gefallen ist. Zuletzt starb 1990 Ian Gow MP (Conservative) durch eine Autobombe der IRA in Hankham, East Sussex. 
Dringend Tatverdächtige ist der 52-jährige Thomas „Tommy“ Mair, der seit langem an einer Geisteskrankheit leidet, die ihn zu stationären Aufenthalten und zur Einnahme von Psychopharmaka zwingt.
Nachbarn beschreiben Mr Mair als zurückgezogen und einzelgängerisch, dabei aber freundlich-angepasst, hilfsbereit und völlig unpolitisch. Insbesondere zum in weniger als einer Woche anstehenden „Brexit“-Referendum hatte Mr Mair keinerlei öffentliche Meinung. 
Dennoch machten gestern, nicht zuletzt dank der frühzeitigen Intervention von Maria Eagle MP (nicht zu verwechseln mit Angela Eagle MP, ebenfalls Labour) sowie der Daily Mail und des Daily Telegraphs Gerüchte die Runde, der Täter hätte „Britain First“ gerufen, während er auf sein Opfer geschossen hat. 
Als Quelle hierfür wurde ein Augenzeuge genannt, der sich nach eigenen Angaben während der Tat nicht am Tatort befand. Der „Independent“ zitiert Aamir Tahir, Besitzer einer chemischen Reinigung, folgendermaßen:
„Meine Kollegin hörte zwei Schüsse, aber ich war nicht da, weil ich im Stau stand. Wäre ich da gewesen, hätte ich versucht, ihn zu stoppen. Alle denken, ich hätte das versucht, habe ich aber nicht. Anscheinend rief der Täter „Britain First“ und wenn ich dort gewesen wäre, hätte ich ihn zu Boden geworfen.“
Im Original:
"The lady I work with heard two loud bangs but I wasn't there, I was stuck in traffic at the time. I wish I was there because I would have tried to stop him. The whole street thinks it was me but it wasn't. Apparently the guy who did it shouted 'Britain First' and if I had been there I would have tackled him."
Trotz der inhärenten Selbstwidersprüchlichkeit eines Augenzeugen, der sich laut eigenen Angaben nicht am Tatort befand und in seiner Aussage Hörensagen zitiert, machte dieses Gerücht sofort die Runde – nur eben nicht als Gerücht, sondern als Wahrheit. Es war eben nur zu genau das, was man in interessierten Kreisen hören wollte.
Mr Tahir hat inzwischen im Fenster seiner chemischen Reinigung einen Zettel aufgehängt, auf dem er klarstellt, niemand habe den Namen der rechtsextremen Gruppe „Britain First“ gerufen, während die Schüsse auf Jo Cox fielen.  
Ein zweiter Augenzeuge, Hichem Ben Abdallah aus dem „Azzurro Café“, will den Schlachtruf „Britain First“ ebenfalls gehört haben – aber ebenfalls nur in den Äußerungen über die Wahrnehmungen Dritter.
Noch während Ms Cox mit dem Tode rang, brach die „Leave“-Kampagne den weiteren Wahlkampf ab. Die „Remain“-Kampagne zog wenig später nach. Der Wahlkampf soll am Sonntag fortgesetzt werden.
Inzwischen fand sich ein dritter Zeuge, der etwas von „Britain First“ gehört haben wollte – nur um seine Aussage anschließend zu relativieren. Mr Clarke Rothwell ist sich inzwischen nicht mehr ganz sicher, was er denn nun gehört hat – „put Britain first“ oder bloß „Britain First“. Festzustellen, wie belastbar und relevant seine Aussage ist, wird Sache des CPS (Staatsanwaltschaft) und des Gerichtes sein. 
Und die Daily Mail fand eine Bürgerrechtsgruppe aus den Vereinigten Staaten, die behauptet, Mr Mair habe sich für separatistische und suprematistische Literatur aus den USA und der Republik Südafrika interessiert. Abgesehen davon weiß die Mail auch, dass Mr Mair sich mit Akko-Pads abschrubbte, weil er das Gefühl hatte, sonst nicht richtig sauber zu werden. 
Zu entscheiden, was an diesen Behauptungen dran ist und inwieweit sie für den Tathergang relevant sind, ist wiederum Sache der Staatsanwaltschaft und des erkennenden Gerichts. Und selbstverständlich braucht ein Täter ein Motiv, auch wenn er geisteskrank ist. 
Aber diesen Fall, über „soziale“ und andere Massenmedien zu verhandeln, wird der Wahrheit nicht gerecht – auch wenn es politisch zweckdienlich sein kann, es trotzdem zu versuchen. 
Immerhin meint die „Remain“-Kampagne offensichtlich, es würde ihr nützen, ein rechtsextremes Motiv für den Mord an Jo Cox zu finden. Die offiziellen und „sozialen“ Medien sind ihr in diesem Punkt gerne behilflich. 
Boris Johnson hat diese Strategie einmal folgendermaßen skizziert:
„Mal angenommen, Ihnen gehen die Argumente aus. Alle Fakten sprechen gegen Sie und je mehr den Leuten das bewusstwird, desto schlechter steht es um Sie und Ihre Sache. Das Beste, was Sie in dem Fall machen können, ist etwas, das man in Fachkreisen „eine tote Katze auf den Tisch werfen“ nennt. Denn eins ist sicher: Wenn Sie ihnen eine tote Katze auf den Esstisch werfen, werden die Leute nicht bloß empört, schockiert und angewidert reagieren; das sind sie natürlich, aber das ist irrelevant. Sondern es geht darum, dass alle sagen: „Da liegt ja eine tote Katze auf dem Esstisch!“ - behauptet zumindest mein australischer Freund. Anders gesagt: Sie werden über die tote Katze reden. Und das ist genau, was Sie möchten, denn dann redet niemand mehr über das Thema, das Ihnen Kummer bereitet.“
Im Original: 
“Let us suppose you are losing an argument. The facts are overwhelmingly against you, and, the more people focus on the reality, the worse it is for you and your case. Your best bet in these circumstances is to perform a manoeuvre that a great campaigner describes as ‘throwing a dead cat on the table, mate.’ That is because there is one thing that is absolutely certain about throwing a dead cat on the dining room table—and I don’t mean that people will be outraged, alarmed, disgusted. That is true, but irrelevant. The key point, says my Australian friend, is that everyone will shout, ‘Jeez, mate, there’s a dead cat on the table!’; in other words, they will be talking about the dead cat, the thing you want them to talk about, and they will not be talking about the issue that has been causing you so much grief.”
Ich bin, liebe Leserinnen und Leser, selbstverständlich nicht der Meinung, dass es sich beim Mord an Jo Cox um eine False-flag-Operation gehandelt hat. Und sei es auch nur, weil Geisteskranke für derlei politische Interventionen nicht unbedingt die geeigneten Kader sind.
Aber es ist – gerade auch angesichts der offiziellen und halb-offiziellen Berichterstattung auf allen Kanälen – ganz offensichtlich, dass das Attentat auf Ms Cox aus Sicht der „Remain“-Kampagne zu keinem günstigeren Moment hätte geschehen können.
RIP Jo Cox. 

Foto: Mordopfer Jo Cox (Foto: British Parlament)

haolam

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